„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.” Diesen Satz hört man immer wieder. Aber wie viel Kontrolle wollen wir im menschlichen Miteinander ausüben? Was ist besser – Sicherheit oder Vertrauen?
Viele Jahre lang hat sich mir überhaupt nicht die Frage gestellt, ob ich anderen Menschen vertrauen soll oder lieber vorsichtig sein. Ich habe es einfach getan – und ich bin die meiste Zeit über sehr gut damit gefahren.
Inzwischen bin ich damit schon so manches Mal auf die Fresse geflogen – teilweise sogar sehr hart – und jedes Mal habe ich mir danach die Frage gestellt, ob ich nicht vorsichtiger sein soll. Immer wieder sage ich mir: ja. Und doch fällt es mir schwer. Weil ich glaube, dass jeder Mensch einen Vertrauensvorschuss verdient hat und dass wir mit ständigem Misstrauen bloß noch mehr Schaden anrichten.
Natürlich passe ich inzwischen etwas besser auf. Gerade im geschäftlichen Bereich ist es wichtig, sich ständig bewusst zu machen, mit wem man es gerade zu tun hat. Und vor allem auch die Hauptinteressen meines Gegenübers im Hinterkopf zu haben. Ich weiß, dass es genügend „Unternehmer“ gibt, die nur zu gerne andere über den Tisch ziehen, wenn sie damit den einen oder anderen Euro mehr machen können. Ich verstehe es sogar ein bisschen – aber es macht mich traurig, wenn ich darüber nachdenke.
Ist der vorsichtige Weg denn wirklich einfacher?
Wie viel Zeit, Mühe und auch Geld kostet es uns, immer alles gegenchecken zu müssen? Wie viel stärker könnte eine Allianz sein, wenn der Umgang miteinander vollkommen offen abläuft und niemand Angst haben muss, dass ihm der andere in den Rücken fällt? Ich bewege mich glücklicherweise in einem Umfeld, in dem solche Situationen eher selten vorkommen. Aber sind sie denn überhaupt notwendig?
Man mag mich einen Idealisten schimpfen, wenn ich mich trotz einer gewissen Lebenserfahrung noch immer für den Weg des Vertrauens entscheide. Das liegt zum Teil daran, dass ich zwar im Grunde ein Bauchmensch bin, aber mich nie allzu lange von meinen Emotionen leiten lasse. Selbst wenn jemand etwas tut, was mich wirklich tief verletzt, kann ich ihm nie wirklich lange böse sein. Es gibt eine Phase, in der ich mich aufrege und wo manchmal sogar ein Gefühl von Hass durchkommt. Aber spätestens nach ein paar Wochen ist meine Wut vollkommen verpufft und ich betrachte die Dinge wieder nüchterner. Die Tat des anderen missfällt mir noch immer – aber inzwischen habe ich mir auch Gedanken um seine Beweggründe gemacht. Und obwohl ich sie weiterhin für falsch halte, kann ich sie meist doch in gewisser Weise nachvollziehen.
Manchmal kann ein kleiner Vertrauensvorschuss wahre Wunder bewirken
Und wenn es mich auch hin und wieder in unangenehme Situationen bringt – ich möchte mir diesen Idealismus bewahren. Ich möchte an das Gute im Menschen glauben und ich möchte glauben, dass Vertrauen immer eine gute Basis ist. Wenn es meinem Gegenüber schwerfällt, mir zu vertrauen, dann gebe ich eben einen Vorschuss. Fliege ich damit auf die Nase, sei es drum. In den meisten Fällen habe ich ja gar nicht viel zu verlieren. Das gilt besonders für Gespräche mit Menschen, die ich gerade erst kennenlerne. Ich hasse Smalltalk und habe mich immer schwer damit getan, mit Menschen zu reden, die mir noch nicht vertraut sind. Dann habe ich irgendwann festgestellt, was ein Vertrauensvorschuss bewirken kann: Indem ich mehr von mir selbst preisgebe, als es die meisten anderen tun würden, schaffe ich den Einstieg in ein tiefergehendes Gespräch. Geht der andere darauf ein, bewegen wir uns von Anfang an auf einem ganz anderen Level der Kommunikation.
Wir überspringen einfach das anfängliche Blabla und beginnen über wirklich Interessantes zu sprechen. Dadurch ist es manchmal sogar möglich, mit vollkommen Fremden Unterhaltungen zu führen, wie ich sie mit so manchem meiner Freunde nicht führen kann. Ich mag das sehr und bei diesen Gelegenheiten habe ich es bisher auch nie bereut, mich von Anfang an geöffnet zu haben. Wenn mein Gesprächspartner nicht drauf einsteigt, gut, dann habe ich eben etwas von mir preisgegeben. Aber in Wahrheit mache ich mich dadurch ja nicht einmal verletzlich, solange ich auch zu dem stehe, was ich sage. Ich habe kein Problem damit, über meine Schwächen zu sprechen – denn sie sind ein wichtiger Teil von mir. Nur wenn ich mir ihrer bewusst bin, kann ich auch meine Stärken voll nutzen. Und wenn sich jemand im Gespräch überlegen fühlen will, indem er meinen Vertrauensvorschuss ausnutzt, dann bin cool damit. Soll sie doch. Solange sie mir damit nicht wirklich schadet.
Wenn wir anfangen zu misstrauen – wo ziehen wir denn dann die Grenze?
Trotz einiger schlechter Erfahrungen werde ich wohl auch weiterhin der Vertrauensmensch bleiben. Ich habe genügend Folgen von „House of Lies“ gesehen und ausreichend Einblicke in stark umkämpfe Geschäftsbereiche bekommen, um zu wissen, dass ich mich auf diesem Parkett nicht dauerhaft bewegen will. Ich möchte mich inmitten von Menschen bewegen, denen ich vertrauen kann. Ich möchte keine sinnlosen Grabenkämpfe führen. Ich habe schon immer Menschlichkeit über Geld gestellt und das wird aller Wahrscheinlichkeit nach so bleiben. Soll sich doch jemand besser fühlen, wenn er mich über den Tisch gezogen hat. Ich werde das nicht einfach so hinnehmen. Aber ich werde diesen Fällen auch nicht allzu viel Macht über mich verleihen. Ein bisschen Vorsicht ist gut – doch Misstrauen ist ein gefährlicher Gesell. Wenn ich anfange, Dinge infrage zu stellen – wo höre ich denn dann auf? Wo ist die Grenze? Woher weiß ich denn, wem ich wirklich vertrauen kann?
Ist es nicht gerade Vertrauen, das uns Sicherheit gibt?
Sicherheit oder Vertrauen – das ist die große Frage, die ich in den Raum gestellt habe. Aber stellt sich diese Frage wirklich? Oder ist es vielmehr das Vertrauen, dass uns die Sicherheit gibt, die wir brauchen? Indem wir anderen vertrauen, verschaffen wir uns ein Gefühl von Sicherheit. Wir müssen nicht alles alleine tragen, sondern können auf die Menschen um uns herum bauen. Wir erschaffen ein Gefühl von Gemeinsamkeit, von einer Stärke, die allein überhaupt nicht möglich wäre. Unsere größten Kräfte können erst freigesetzt werden, wenn wir gelernt haben zu vertrauen. Dabei sollte dieses Vertrauen natürlich nicht nur gegenüber anderen gelten – sondern auch gegenüber uns selbst. Indem wir darauf vertrauen, dass wir das Richtige tun, verleihen wir uns beständig neue Antriebskraft. Und das Netz, dass wir im Kreise unserer Vertrauten aufbauen, ist mehr wert als alles andere.
Ich werde auch weiterhin vertrauen. Nicht blind, aber wohlwollend. Für viele mag sich das riskant anhören – doch für mich ist es der einzig richtige Weg.