
Endstation politische Ohnmacht?
Als ich heute Morgen erfahren habe, wie es um die Wahlen in den USA steht, war mein erster Impuls, direkt wieder ins Bett zu kriechen, mir die Decke über den Kopf zu ziehen und vier Jahre weiterzuschlafen. Wenn die Welt dann noch mehr ist als eine Staublandschaft, können wir weiterschauen. Bis dahin macht es einfach keinen Sinn, noch für irgendetwas zu kämpfen …
Dann ist mir bewusst geworden: Gerade dieses Gefühl von Ohnmacht hat uns an den traurigen Punkt geführt, an dem wir uns gerade befinden. Wir alle. Die US-Wahlen sind nur der (bisher) höchste Ausschlag einer erschreckenden Tendenz zur Irrationalität, der sich gerade überall bemerkbar macht. Und es ist zu befürchten, dass die nächsten Wahlen in Deutschland ähnlich ausgehen werden – weil zu viele Menschen ihre Entscheidungen fern jeder Vernunft treffen, gesteuert bloß von ureigensten Trieben und Emotionen. Aber wie konnte es passieren, dass das Nachdenken so in Vergessenheit gerät?
Wir müssen aufhören mit der Angst …
Spätestens seit 9/11 hat die sowieso schon in uns verwurzelte Angst vor dem Fremden massiv zugenommen. Umfassende Kameraüberwachung und viele weitere Einschränkungen der Privatsphäre werfen kaum noch Widerstand auf, sondern sind weitläufig akzeptierte Sicherheitsmaßnahmen. Wir haben einen Teil von uns zurückgestellt, um uns wieder etwas sicherer fühlen zu können. Und wie es scheint, fallen nun nach und nach weitere Festungen der Menschlichkeit: Nächstenliebe, Toleranz und selbst Menschenrechte.
Es ist die Angst, die derzeit viele dazu bringt, sich Führern anzuschließen, die kaum mehr zu bieten haben als gemeinsame Feindbilder. Sie sind getrieben von Verlustängsten – Eigentum, Arbeit, Frauen (die dadurch im Grunde mit Eigentum gleichgesetzt werden, was unsere eigene „Kultur“ demaskiert) – und oft sogar von der Angst um ihr Leben.
Die Ängste entbehren an vielen Stellen jeglicher Grundlage – denn wem wurde bisher wirklich etwas genommen? Kriege und Terroranschläge sind ohne jede Frage schrecklich. Aber machen wir uns doch nichts vor: Die Menschheit hat immer schon Scheiße gebaut. Mit Mauern, Misstrauen und Waffen richten wir nur noch mehr Schaden an. Wo ist da der Nutzen?
… und auch mit dem Hass – auf allen Seiten
Aber viele von uns sind sich ja nur zu sehr darüber im Klaren, dass uns der Hass gegen das Fremde nicht weiterbringt. Zum Glück. Doch leider werden immer noch viel zu wenige Brücken gebaut. Stattdessen prallen Meinungen aufeinander und fordern als Querschläger bloß noch weitere Opfer.
Ja, wir haben die Verantwortung, gegen den Hass anzugehen. Aber das funktioniert nicht, indem wir Menschen, die von Angst getrieben werden, dumm dastehen lassen. Und das funktioniert erst recht nicht in Facebook-Diskussionen. Welcher Trump-, Brexit- oder AFD-Wähler wird sich auf Facebook davon überzeugen lassen, dass er mit seiner Meinung vor die Wand laufen wird? Öffentliche Diskussionen und Medienkonsum dienen vor allem dazu, sich die eigene Meinung bestätigen zu lassen, ob nun durch Nachplappern oder Leugnen. Wirkliche Überzeugungsarbeit braucht entweder aufrüttelnde Schocker oder eben das gute alte persönliche Gespräch. Also sollten wir wieder mehr miteinander sprechen. Mit Blickkontakt und dem ganzen Pipapo.
Wenn jemand den Menschen in euch kennt und mehr sieht als bloß ein politisches Gegenüber – wenn er sich einem Charakter gegenübersieht, den er schätzen und dem er vertrauen kann –, dann besteht auch eine Chance, dass eure Argumenten ihn erreichen. Wir brauchen keine Mauern, keine Streitdiskussionen, keine Bloßstellung von politisch Durcheinandergebrachten. Was wir brauchen, ist das genaue Gegenteil: menschliche Nähe und Austausch.
Gesellschaft funktioniert nur gemeinsam
Wir alle brauchen einander. Wir müssen zusammenarbeiten, uns arrangieren, sonst funktioniert eine Gesellschaft einfach nicht. Also stellen wir doch einmal persönliche Empfindlichkeiten zurück, vergessen den ganzen sinnlosen Hass, der uns an keiner Stelle weiterbringt, und gehen alle einen Schritt aufeinander zu. Ein kleiner Schritt reicht ja schon – für den Anfang.
Ich weiß, dass meine Gedanken vermutlich etwas kitschig und wenig realistisch klingen – doch momentan ist es der einzige Ausweg, den ich sehe. Deswegen ignoriere ich die Angst und rede. Nicht schreien, nicht streiten, nicht einmal diskutieren. Einfach nur reden.
(1) Comment
einfach nur: Danke dafür
Keine Hysterie, keine Weltuntergangs-Szenarien (kann ich selber), kein ‘drauf gekloppe’,
sondern ruhige, vernünftige Worte. Sehr, sehr wohltuend.
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