
Die Crux des politisch Ungebildeten – oder: Warum ich keine politischen Texte schreibe …
Kennst du das?
Du öffnest den Mund und willst etwas sagen, weil dich etwas beschäftigt und du unbedingt deine Gedanken loswerden musst. Oder deine Finger berühren mit ihren Spitzen schon sanft die Tastatur und wollen gerade losrattern, um deinen aufgewühlten Gefühlen Luft zu machen. Doch dann hältst du plötzlich mitten in der Bewegung inne, dein Atem stockt für einen Moment und du ruderst vorsichtig zurück.
Klar, es rumort noch immer in deinem Bauch und du spürst, dass es vielleicht wichtig sein könnte, was du zu sagen hast. Aber auf einmal bist du dir nicht mehr so sicher, ob du wirklich recht hast mit deinen Gedanken. Du hast etwas gehört oder gelesen und natürlich möchtest du darauf reagieren – schließlich hast auch du deine Meinung zu den Dingen. Aber bist du auch ausreichend informiert, hast du dich mit den verschiedenen Perspektiven auseinandergesetzt und weißt du wirklich, wovon du sprichst? Oder ist es vielmehr bloß gefährliches Halbwissen, das da durch deine Neuronen pumpt, eilig aus flüchtig Gehörtem und Gelesenem zusammengetragen, und jedes vorschnell geäußerte Wort bloß ein Schuss ins Blaue? Vielleicht doch eher das, denkst du dir – und hältst den Mund lieber geschlossen.
Genau so geht es mir immer dann, wenn es gerade um Politik geht. Deswegen schreibe ich auch keine politischen Texte.
Gerade wenn ich eine Bühne betrete, möchte ich auch wirklich etwas zu sagen haben – und zwar nichts Halbgares oder etwas, was so oder so ähnlich schon tausendmal gesagt wurde. Ich möchte bewegen. Etwas im Inneren meiner Zuhörer anstoßen, vielleicht mit Schwung, vielleicht nur ganz sanft. Hauptsache, es bewirkt etwas: Veränderung – ganz egal, wie klein sie auch sein mag.
Ich spreche normalerweise über Dinge, die mich beschäftigen und die mich oft auch einfach nicht loslassen, bis ich mich intensiv mit ihnen auseinandergesetzt habe. Jedem Text geht ein Denkprozess voraus, beginnend mit einer Idee, aus der sich Stück für Stück ein Plan abzeichnet. Wenn ich Steine in die Hand nehme, dann, um etwas damit zu bauen. Nicht, um mit ihnen wild um mich zu schmeißen.
Im stinknormalen Alltag bin ich leider recht gut darin, vorschnell die Klappe aufzureißen und eifrig zu argumentieren, auch wenn ich eigentlich gar keine Ahnung habe – meine Freundin weiß ein Lied davon zu singen. Mit dem Kopf durch die Wand klappt tatsächlich erstaunlich oft. Doch bleibt das dabei entstandene Loch häufig bestehen und so manches Mal habe ich mir auch einfach ordentlich den Kopf gestoßen. Glücklicherweise, denn dadurch habe ich zumindest eines gelernt: Bei wirklich wichtigen Themen ist es ratsam, nicht einfach die Klappe aufzureißen, sondern erst mal nachzudenken.
Also bleibe ich stumm. Das heißt aber nicht, dass ich nicht da bin. Ich bleibe nur im Hintergrund, mache mir meine Gedanken, beobachte, verfolge aufmerksam das Geschehen und die Diskussion – und wenn ich dann etwas Sinnvolles beizutragen habe, mache ich den Mund auf.
Ich dachte immer, dass das eigentlich ein ganz guter Weg ist. Doch in letzter Zeit zweifle ich immer öfter daran. Denn ich habe das Gefühl, dass die vernünftigen Stimmen mehr und mehr untergehen – und dass inzwischen nur noch schreien hilft, um gehört zu werden. Wie passend. Manchmal möchte ich einfach nur noch schreien, wenn ich sehe, was bei uns so abgeht. Ist das vernünftig? Nein. Aber es wäre bestimmt befreiend.
Öffentliche Kommunikation hat ihre ganz eigenen Regeln – nämlich nahezu gar keine. Früher schon fand ich Diskussionen in größeren Gruppen – z. B. im Seminar – extrem anstrengend, weil sie ständig ausgeufert sind und nur selten am Ende auch wirklich ein Ergebnis stand. Aber wenn ich mir heute anschaue, wie Diskussionen auf Facebook und über andere Medien verlaufen, läuft es mir teilweise eiskalt den Rücken runter. Entweder man eifert dem Vorredner eifrig nach oder man wettert volles Rohr dagegen. Oft genug laufen Beiträge auch einfach vollkommen aneinander vorbei. Wäre ja auch Quatsch, sich vorher mit dem Gesagten auseinanderzusetzen – schließlich gilt es die Gelegenheit zu nutzen, um die eigene Meinung so laut wie möglich rauszuposaunen (im Netz am besten mit Caps Lock).
Ich möchte schreien.
Und wie es scheint, sind Mund und die Finger auf der Tastatur oft schneller als der Kopf, und meist auch das Herz. Viele Aktionen und Reaktionen sind von Gefühlen gesteuert – doch diese Gefühle beschränken sich meist auf Angst, Wut und Empörung.
Was ist mit Empathie? Der Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ihre Gedanken und Gefühle nachzuempfinden, Verständnis aufzubauen. Wenn wir ständig nur auf unserer Seite des Zauns stehen, wie können wir dann wissen, wie es auf der anderen Seite aussieht?
Ich möchte schreien.
Warum nachdenken, wenn doch immer schon alles klar ist? Ob es um das Thema Flüchtlinge geht, um einen weiteren Anschlag oder einen zweifelhaften Putschversuch in der Türkei – sofort weiß jeder, wie der Hase läuft. Es liegt doch alles glasklar auf der Hand. Außerdem habe ich da ja was zu gelesen, das wird schon nicht falsch sein.
Ich möchte schreien.
Ich finde es wichtig, Stellung beziehen zu können, wenn es darauf ankommt. Doch gerade wenn die Ereignisse zu groß sind, um sie auf einen Blick zu erfassen, sollte nicht jede neue Information durch den Filter der bereits getroffenen eigenen Meinung betrachtet werden. Schon oft habe ich feststellen müssen, dass ich mit einer anfänglichen Einschätzung falsch lag. Dass jede Perspektive nur eine von vielen ist, dass es nicht immer nur ein richtig gibt und dass allumfängliche Wahrheiten bloß eine Illusion sind. Ich darf meine Meinung haben, natürlich. Aber ich darf mich doch nicht mit erhobenem Stinkefinger dahinter verschanzen und dabei alles ignorieren, was gerade nicht in meine Auffassung der Dinge passt, ganz egal wie logisch es auch klingen mag. Wieso?, heißt es dann. Das ist halt meine Meinung.
Ich möchte schreien – so laut ich kann.
Und was ist mit Respekt?
Es ist leicht, gegen jene zu bashen, die auf Facebook rechtspopulistischen Unsinn verbreiten. Es ist leicht, sie als dumm darzustellen – sei es wegen vollkommen fehlender Reflexion des Aufgeschnappten oder einfach wegen einer lächerlichen Rechtschreibung. Doch dürfen wir dabei vergessen, dass es immer noch Menschen sind da auf der anderen Seite der Leitung? Menschen wie du und ich, die aus den verschiedensten Gründen dazu getrieben wurden, diese verqueren Ansichten zu teilen. Wenn wir Ihre Ängste und Sorgen nicht ernst nehmen – und vor allem wenn wir sie, als vollkommen gleichberechtige Menschen, nicht ernst nehmen, drücken wir sie nur noch weiter an die Wand. Und ein Mensch, der mit dem Rücken zur Wand steht, kann nicht mehr zurückrudern. Ihm bleibt bloß die Flucht nach vorn – und zwar mit Gewalt.
Es ist auch leicht, Verschwörungstheorien zu teilen, wenn sie sich so vollkommen logisch anhören.
Doch am Ende ist es immer noch eine Theorie – womöglich sehr nahe an der Wahrheit, aber trotzdem mit Vorsicht zu behandeln. Worauf soll unser Denken und Handeln aufbauen? Auf der wüsten Flut an Informationen, die uns täglich durch verschiedene Filter erreicht – oder auf dem gesunden Menschenverstand?
Menschenverstand? Welcher Menschenverstand?, tönt es aus meinem Hinterkopf.
Und ich möchte schreien. Einfach – nur noch – schreien.
Aber ich tu’s nicht.
Warum nicht?
Weil es alles nur noch schlimmer machen würde.
Solange wir es nicht schaffen, bei uns eine von Respekt und gegenseitigem Verständnis geprägte Gesprächskultur zu etablieren, eine Gesprächskultur, in der wir auch dazu in der Lage sind, andere Meinungen zu akzeptieren – nicht zu teilen und vielleicht auch nicht einmal nachvollziehen zu können, aber sie trotzdem zu akzeptieren und unser Gegenüber für voll zu nehmen, damit überhaupt eine zielgerichtete Kommunikation stattfinden kann, und das auch im Internet … solange sollten wir vorsichtig sein mit dem, was wir sagen. Und bedacht unseren kleinen Teil dazu beitragen, damit sich endlich etwas ändert.
Ich bin mir darüber bewusst, dass ich keinen Deut besser bin als jeder andere hier – aber ich kann versuchen, es besser zu machen. Und zwar nicht mit Schweigen wie bisher. Und auch nicht mit schreien – so sehr es mich auch manchmal danach verlangt. Sondern mit innehalten, nachdenken und nachfühlen, und erst dann: miteinander sprechen.